Mord zwischen Kraut und Rüben
Herausgegeben von Ina Coelen

Glausers GartenFast zwei Dutzend der bekanntesten deutschsprachigen KrimiautorInnn ließen für diese Kurzkrimisammlung ihre Phantasie blühen. Erdverbundene Ermittler und naturbegeisterte Protagonisten wühlen im Dreck oder ermitteln im Kleingarten zwischen Gemüsebeet und Jauchegrube. Außer Mordgeschichten zwischen Heckenschere und Spitzhacke, Blattläusen und Wildkräutern gibt es auch Pflanz- und Gartentipps der AutorInnen.
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Mit dabei:
Karr & Wehner
Glausers Garten oder:
Am Ende der Straßen bleibt jeder allein

Eine Legionärsgeschichte

Es war einer der Tage, an denen er nicht den Schwindel spürte und nicht dieses Rauschen im Kopf. Es war einer dieser Tage, an denen er die Pillen bei der Morgenausgabe unter der Zunge versteckt und später ins Stationsklo gespuckt hatte.

glauserEr traf Glauser im Garten der Anstalt, neben den Rosen, die ihre ersten Knospen trugen, und wie immer las Glauser in dem zerfledderten Buch, das er bei seiner Einlieferung in der Tasche gehabt hatte.
»Bei der Legion wird man zum Mann«, sagte er und hob das Buch: Gourrama. Ein Roman aus der Fremdenlegion von Friedrich Glauser. Er konnte daraus seitenweise auswendig vortragen, deswegen hieß er auf der Station auch nur »Glauser«. Oder vielleicht auch, weil er genauso durchgeknallt war wie dieser Glauser, über den es in der Anstaltsbücherei des psychiatrischen Landeskrankenhauses eine Biographie gab, die ein Typ aus Hamburg geschrieben hatte.

Glauser hatte keine Papiere dabei, als man ihn in der Fußgängerzone von Kleve auflas, auch kein Geld, und vor allem keinen Fetzen Erinnerung daran, wer er war. Nur den Roman, den hatte er dabeigehabt und seitenweise dem Anstaltsarzt vorzitiert. Deshalb besaß er jetzt Ersatzpapiere auf den Namen Glauser, Friedrich. Geboren in Mannheim.

Glauser war damals zu ihm aufs Zimmer gelegt worden, weil sie Angst hatten, dass er sich etwas antun könnte. Er sprach wenig, und wenn, dann nur über das schwarze Loch in seinem Kopf und den Schwindel, der einsetzte, wenn er versuchte, sich an irgendetwas zu erinnern. »Retrograde Amnesie« stand auf seinem Patientenbogen mit der Medikation und den Sondermaßnahmen, die sie ihm verpassten. Das, was Glauser über das Loch in seinem Gedächtnis erzählte, waren nützliche Informationen, mit denen er die ersten Sitzungen beim Therapeuten überstand.

Retrograde Amnesie war schließlich die Diagnose, die auch er bekam, und sie sicherte ihm erst einmal ein paar weitere Wochen »zur Beobachtung« in der Anstalt. Mehr hatte er gar nicht gewollt, als er sich in der kalten Februarnacht in Wesel gegen Mitternacht von der Brücke in den Fluss hatte fallen lassen, nachdem er sich vergewissert hatte das genügend Partygänger unterwegs waren, die ihn retten konnten.
»Heut Nacht«, sagte Glauser und machte eine Geste, dass er näher kommen sollte, »geh ich zur Legion!
«
Damit schob er ihm den zerlesenen Roman in die Hand, aus dem Notizzettel, sein Medikamentenplan und andere Papiere quollen, die sich im Lauf der Zeit hier in der Anstalt bei ihm angesammelt hatten.
»Nimm!«, sagte er. »Man geht ohne Namen zur Legion!«

Am nächsten Morgen blieb Glausers Platz beim Frühstück leer, die Pfleger merkten es erst bei der Tablettenausgabe. Später hörte er, dass Glauser irgendwie in der Nacht verschwunden war. Man konnte sich nicht erklären...


Die Geschichte dahinter
Legion»Glausers Garten« ist eine keline Hommage an einen der Ur-Väter des deutschsprachigen Krimis - Friedrich Glauser (1886 bis 1938). Im Laufe seines - sagen wir einmal: abwechslungsreichen - Lebens war Glauser (Bild) unter anderem als Handlanger in einer Baumschule beschäftigt - das Setting verwendete er als Kulisse seines Romans »Der Chinese«. Außerdem war er von 1921 bis 1923 bei der Fremdenlegion - was seinen Niederschlag in dem erwähnten »Roman aus der Legion« fand.
Der andere große »Fremdenlegionär«, der in unserer Legionärsgeschichte auftaucht, ist George Forestier - Verfasser vom Gedichtbänden wie "Ich schreibe mein Herz in den Staub der Straße« und natürlich »Am Ende der Straßen bleibt jeder allein«. Dass es sich bei »Forestier« gar nicht um einen Legionär handelte, sondern dass der Mann und seine Geschichte eine reine Erfindung waren, nun ja...

Ina Coelen (Hg)
Mord zwischen Kraut und Rüben
Mordgeschichten und Gartenkrimis
271 Seiten
Krefeld: Leporello, 2013
ISBN-13: 9783936783551
ISBN-10: 3936783551