Almuth Heuner
Küche, Diele, Mord
Morde unter Dach und Fach

Almuth HeunerEgal, ob im Reihenhäuschen oder in der Villa, im Hochhaus oder in der Baracke – überall, wo gewohnt wird, wird auch gemordet!
Küche und Schlafzimmer, Bad und Heizungskeller, Garage und Rumpelkammer sind die Schauplätze von Mord und Totschlag aller Art und beim Aufräumen oder Renovieren - nicht nur im Keller - findet sich so manche Leiche, die für immer hätte verschwinden sollen.







Mit dabei:
Karr & Wehner
Susis Zimmer

Später, als er längst in dem Haus lebte und alles nach seinen Bedürfnissen umgestaltet und eingerichtet hatte, fragte er sich manchmal, was aus ihm geworden wäre, wenn er an diesem trüben Augustnachmittag nicht mit der Maklerin in die erste Etage hinaufgestiegen wäre.
Er hatte sich eigentlich nur darauf eingelassen, um einen Blick auf ihren prallen Hintern in dem engen Kostümrock zu bekommen. Dazu trug sie Strümpfe mit Naht und Pumps mit Fünf-Zentimeter-Absätzen, alles in allem also ein sehr erfreulicher Anblick. Auch sonst sah sie nicht schlecht aus, sonnengebräunt, Mitte dreißig, Körbchengröße C, geschätzt. Blaue Augen, das blonde Haar nachgefärbt, und außerdem Verdacht auf zweimal Botox im Jahr.
Sie schien gespürt zu haben, dass er nach dem Rundgang durch das Erdgeschoss, den Keller und den Garten kaum noch ein Interesse an dem Haus hatte. Dafür gab es keinen besonderen Grund, es war einfach ein langweiliges Haus, hundertfünfzig Quadratmeter Wohnfläche auf zwei Etagen, freistehend, mit sechshundert Quadratmetern Grundstück, blickdichten Hecken, Stadtrandlage. Ein langweiliges Haus in einer langweiligen Bausparkassensiedlung, Baujahr 1960. Die anderen Häuser in der Straße, die Rotdornweg hieß, waren ähnlich langweilig, mit stumpfen Fassaden, überzogen mit der grauen Patina, die sich in den letzten fünfzig Jahren über das Ruhrgebiet gelegt hatte.
»Wenn Sie vielleicht noch einen Blick in das Obergeschoss werfen wollen?«
Er hatte nur zugesagt, um ihren Hintern zu sehen und weil er keine Lust hatte, den Termin abrupt abzubrechen.
Und dann standen sie in dem Schlafzimmer.
Es war perfekt. Es war so perfekt, dass ihm einen Moment schwindelig wurde, so überraschend traf ihn der Anblick. Er blinzelte, und das Bild blieb bestehen. Ein alter, gut gepflegter Parkettboden, die große Doppeltür zum Balkon, der zum Garten hinausging, rechts die kleine Tür zum Bad. Knapp vierzig Quadratmeter, mit ein paar falschen Stuckornamenten am Lampenring unter der Decke und über der Balkontür. Der Lichtschalter neben der Tür noch mit einer altmodischen Plastikblende und einem grün phosphoreszierenden Kippschalter.
»Alles in Ordnung?«
Die Stimme der Maklerin riss ihn aus seinem Flash. Er wusste nicht, ob er blass geworden war oder geschwankt hatte. Ob er etwas gesagt hatte oder nicht. Er hielt sich am Türrahmen fest.
»Ja«, sagte er. »Ja, alles in Ordnung. Wann können wir den Kaufvertrag machen?«

Lena war eine Brünette mit kleinen Brüsten – nach seiner Kategorisierung Äpfelchen –, und sie wirkte mit ihrem Make-up, dem Glitzerpuder auf den Augenlidern und dem Gloss auf den Lippen natürlich viel jünger, als sie war.
Sie war mitgekommen, weil er ihr fünfhundert für die ganze Nacht versprochen hatte, und sein Wagen – er hatte einen Kindersitz auf die Rückbank des Toyotas montiert – schien ihr Vertrauen erweckend genug, um einzusteigen.
Sie stöckelte vor ihm die Treppe hinauf zum Schlafzimmer, er war hinter ihr und studierte ihren Hintern, dessen Backen sich durch das dünne Fähnchen abzeichneten. So wie es aussah, trug sie darunter höchstens einen String. Natürlich war sie rasiert, danach hatte er sie vorher gefragt.
»Glatt wie eine Teenie***!«, hatte sie versprochen und war sich mit der Zungenspitze über die Oberlippe gefahren. »So magst du es doch, Daddy?«
Oben angekommen, drehte sie sich einmal um sich selbst und schaute sich um. »Hübsch hast du es hier!«
Das war natürlich gelogen – er hatte in der oberen Etage kaum etwas verändert, die Wände waren immer noch mit den halbhohen nachgedunkelten Holzpaneelen verkleidet, auf dem Boden lag ein verblichener Läufer.
»Rechts!«, sagte er. Sie drückte die angelehnte Tür zum Schlafzimmer auf und staunte. »Wow!« Und: »Wie bist du denn drauf?«



Die Geschichte dahinter:
Wenn Häuser erzählen könnten... Wenn Zimmer berichten dürften, was in ihnen geschehen ist. Liebesgeständnisse haben sie vielleicht gehört, sind Zeugen von Streit und Wut geworden, von Gewalt, bis hin zum Mord. Die reizvolle Idee, eine Anthologie mit Krimis zu machen, die in den Zimmern eines Hauses spielen, stammte von Almuth Heuner, ihres Zeichens »Mörderische Schwester« und »Auguste«-Preisträgerin. Da war es für Karr & Wehner natürlich eine Ehre, mitmachen zu dürfen. Wir wählten das Schlafzimmer. Im ersten Stock, mit Balkon zum Garten. Die reine Idylle. Bis ein bestimmter Bewohner auftaucht...





Almuth Heuner (Hg)
Küche, Diele, Mord
Morde unter Dach und Fach
400 Seiten
Hillesheim: KBV, 2013
ISBN  978-3-942446-93-8